Interdisziplinarität war der Fokus der 2. Tagung des Interdisziplinären Mutismus Forums, die von den fünf Mitgliedern des IMF (Sprachheilzentrum des GZG Meisenheim, Sprachheilzentrum Werscherberg, Sprachtherapeutisches Ambulatorium der TU Dortmund, StillLeben e.V. Hannover und Universitätsmedizin Mainz) in Andernach ausgerichtet wurde. Über Workshops, Kurzvorträge, Präsentationen betroffener Jugendlicher und einem Fachvortrag konnten sich circa 80 interessierte Fachkräfte verschiedenster Disziplinen (Pädagogik, Sprachtherapie/Logopädie, Medizin, Psychotherapie) über aktuelle (Forschungs-)Thematiken informieren und Impulse für die eigene Arbeit mit selektiv mutistischen Kindern und Jugendlichen gewinnen.
Nach der Begrüßung durch Belinda Fuchs (Sprachheilzentrum Meisenheim) und Katja Subellok (TU Dortmund) wurde die Tagung mit drei Kurzvorträgen eröffnet und in das Thema Selektiver Mutismus – eine interdisziplinäre Herausforderung eingeführt. Herausforderungen aus medizinischer Perspektive stellen sich insbesondere für die Identifizierung und differentialdiagnostische Abgrenzung des selektiven Mutismus, wie Anne Läßig (Universitätsmedizin Mainz) erläuterte. Aus therapeutischer Perspektive wurden von Katja Subellok (TU Dortmund) Herausforderungen für die (Therapie-)Forschung benannt, da es derzeit noch an Evidenzen resp. Indikatoren mangelt, welche Therapiemethode für welche Ausprägungsform eines selektiven Mutismus wirksam ist. Daniela Feldmann (StillLeben e.V. Hannover) erläuterte aus pädagogischer Perspektive, wie bedeutsam ein informierter und offener Umgang von Lehrkräften und Erzieher*innen mit schweigenden Kindern für deren Partizipation an sozialen und Bildungsprozessen ist.
Die anschließende Präsentation von acht Jugendlichen des Sprachheilzentrums Gesundheitszentrum Glantal in Meisenheim beeindruckte das Plenum. Unter Moderation ihres Sprachtherapeuten Maik Herrmann stellten sich die Jugendlichen vor und berichteten abwechselnd zum Thema Selektiver Mutismus - wie wir es sehen. Wie umgekehrt mutistische Jugendliche von den Peers wahrgenommen werden, berichtete einer ihrer (nicht mutistischen) Mitschüler. Er habe die schweigenden Jugendlichen zunächst als abweisend empfunden und den Eindruck gehabt, nicht gemocht zu werden. Jetzt seien sie seine Freunde. Er habe nun verstanden, dass alle sprechen wollen, es aber nicht immer können.
Die Präsentation der Jugendlichen regte das Plenum zu einer interessierten Fragerunde an. Es wurde unter anderem sehr deutlich, wie unterstützend und zielführend eine stationäre Langzeitbehandlung und der Austausch mit gleich Betroffenen (wie etwa in den Sprachheilzentren Meisenheim und Werscherberg) sein können. Dies brachte eine 18Jährige, die seit ihrer Kindheit schweigt und die Schule abgebrochen hat, auf den Punkt: „Der Kontakt mit anderen mutistischen Kindern hat mir eine neue Perspektive gegeben.“
Fünf Workshopangebote fokussierten anwendungsbezogene Thematiken rund um Diagnostik, Beratung, Therapie und schulische Förderung bei selektivem Mutismus.
Über das Thema Selektiver Mutismus bei mehrsprachigen Kindern berichtete Anja Starke (TU Dortmund) in ihrem abschließenden Fachvortrag. Mehrsprachigkeit ist ein Risikofaktor für selektiven Mutismus. Allerdings konnte Anja Starke (2014) in ihrer Dissertation zeigen, dass der Zweitspracherwerb nicht ausschließlich für die Ausbildung des Schweigens verantwortlich ist. Noch relevanter scheinen Einflussfaktoren wie das Temperament des Kindes (Schüchternheit, Ängstlichkeit) und womöglich auch der kulturelle Adaptionsstil der Familie zu sein.
Das abwechslungsreiche und anregende Tagungsprogramm und der angenehme Veranstaltungsort stießen bei den Teilnehmenden auf durchweg positive Resonanz. Den Veranstalter*innen ist es mit der Tagung gelungen, das Thema Gemeinsam Brücken bauen auch in Richtung der anwesenden Fachkräfte und Betroffenen zu realisieren. Daraus erwächst die Kraft, sich vernetzt im gemeinsamen Anliegen selektiver Mutismus professionell zu engagieren. Stimmen nach Wiederholung einer solchen Fachtagung wurden im Publikum laut, möglichst noch im kommenden Jahr, doch spätestens in zwei Jahren….
Darüber wird das IMF nachdenken. :)
Isabel Grüner (Bissendorf), Anne Övermeyer (Bissendorf) & Katja Subellok (Dortmund)
10:00 - 10:15 |
Begrüßung und IMF-Vorstellung Katja Subellok (Dortmund) und Belinda Fuchs (Meisenheim) |
10:15 - 11:15 |
Kurzvorträge: Selektiver Mutismus interdisziplinär
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11:15 - 11:45 | Frühstückspause und Infostände |
11:45 - 13:00 | Seminarphase 1 (vier Seminare) |
13:00 - 14:00 | Mittagessen und Infostände |
14:00 - 14:30 |
Fachvortrag: Selektiver Mutismus bei mehrsprachigen Kindern Anja Starke (Dortmund) |
14:40 - 15:55 | Seminarphase 2 (vier Seminare) |
15:55 - 16:20 | Kaffeepause und Infostände |
16:20 - 17:00 |
Abschlussveranstaltung: Einblicke und Ausblicke Katja Subellok (Dortmund) und Belinda Fuchs (Meisenheim) |
Veranstalter: |
Rhein-Mosel-Akademie (Institut für Fach- und Führungskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen) Vulkanstraße 58 56626 Andernach |
Zielgruppe: |
ÄrztInnen, NeurologInnen, TherapeutInnen, LehrerInnen,
ErzieherInnen, Studierende, Betroffene und Angehörige (Zertifizierte Fortbildung inkl. 6 Fortbildungspunkte) |
Kosten: (inkl. Verpflegung) |
Vollzahler 110 €, Frühbucher 95 € (bis zum 06.01.2017), ermäßigt 50 € |
Anmeldung: |
Über das Anmeldeformular der Rhein-Mosel-Akademie Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie außerdem auf der Veranstaltungsseite der Akademie. |
Ansprechpartner: |
Anne Läßig (Anne.Laessig@unimedizin-mainz.de) Belinda Fuchs (b.fuchs@gzg.landeskrankenhaus.de) |
Das Interdisziplinäre Mutismus Forum (IMF) versteht sich als eine informelle Kooperationsplattform für Fachleute diverser Professionen aus folgenden institutionellen bzw. interessensgemeinschaftlichen Kontexten: